Presse:

Badische Zeitung, 27. Februar 2016

Juliana Eiland-Jung

Selbstbildnisse mit Motiven aus dem Kleiderschrank.

Der Basler Maler Urban Saxer zeigt im Kunstverein Offenburg spannende konzeptuelle Gegenständlichkeit

Offenburg. Die Ausstellung mt: Bildern des Basler Künstlers Urban Saxer, die am Freitagabend im Offenburger Kunstverein eröffnet wird, wirkt auf den ersten Blick geradezu altmeisterlich. Stillleben, aufs penibelste genau in Oel gemalt. Klassische Maltechnik, klassische Formen, Bilder von Tassen, Vasen, Äpfeln, Kerzenständern. Aber: Wer Gegenstände malt, malt nicht unbedingt gegenständlich. Saxer jedenfalls abstrahiert die Gegenstände auf wesentliche Linien und Formen, und nutzt sie, um Raum darzustellen und Geschichten zu erzählen. Wer genauer hinschaut auf die subtilen Unterschiede zwischen den einzelnen Werken, der kann Entdeckungen machen. Manche von Saxers Objekten stehen, nanche schweben, oft sind sie vom unteren Bildrand angeschnitten, wirken so noch plastischer. Manche der Formen unterscheiden sich farbich kaum vom Hintergrund, und erscheinen dennoch klar abgegrenzt. Saxer ermöglicht es Besuchern sogar, die Entstehung eines Bildes per Video im Zeitraffer mitzuer1eben. Doch bevor man sich ln die Frage "Wie funktioniert das?" vertieft, sollte man die großartige Bildsprache auf sich wirken lassen, der der "freischaffende Bildermacher", wie er sich selbst nennt, über die Jahre treu geblieben ist. Saxer schafft mt Farbflächen Räume, die sich subtil unterscheiden. Wirkt eine in Brauntönen gehaltene Kaffeekanne, die dem Betrachter fast aggressiv den Ausguss entgegenstreckt, schwebend und magisch wie die schwebenden Felsen bei Rene Magritte, erscheinen die nur teilweise sichtbaren Äpfel mit dem Titel "Hannibal" eingesperrt hinter Farbflächen. Eckig und rund, vorne und hinten, schwebend und stehend, dunkel und hell - Saxer arbeitet mit Kontrasten und bezieht den Betrachter mit ein, der unweigerlich Angedeutetes ergänzt. Beim mit "Schneefeld" titulierten Bild einer blauen Vase hinter weißen Flächen ergänzt das innere Auge diese zum Kreuz - das gar nicht da ist. Bei der Zwiebel mt dem Titel "Affirmation" liegt die Bestätigung darin, dass der frei gelassene Raum sich zum Buchstaben "Z" ergänzen lässt. Genau gegenüber, über die ganze Länge des Ganges hinweg, korrespondiert dieses Bild mt einem Apfel, der im Zentrum einer x­ förmigen Aussparung zu sehen ist. Durchblicke, Einblicke, gewährt Saxer auch in seinen Kleiderschrank. Die zwölf "Selfies" zeigen Teile seiner wenig spektakulären Garderobe in hyperrealistischer Darstellung - aber ohne ihren Träger. Und doch gibt der Künstler mit diesen Hemden und Pullis einiges von seiner Persönlichkeit preis. Subtile Selbstbildnisse, die Lebensgeschichte in sich tragen, als Gegenbilder zu den allgegenwärtigen, schnelllebigen Selbstinszenierungen in den sozialen Medien.



Pressemitteilung Kunstverein Offenburg, 24.2.2016

Am kommenden Freitag wird im Kunstverein um 19.30 Uhr die neue Ausstellung mit Werken des Basler Künstlers Urban Saxer eröffnet. In der Malerei von Urban Saxer geht es metaphorisch um existentielle Fragen. Gezeigt werden unter dem Titel „Painted mind“ Werke aus 25 Jahren bildnerischer Tätigkeit, von 1989 bis heute. Saxer beschäftigt sich mit Fragen der Existenz anhand von abstrakten wie gegenständlichen, aber stets allgemeingültigen Formen, und verdeutlicht die Präsenz des Gegenstandes in irrealer Weise, in dem er ihn in einer undefinierten Umgebung platziert. Mittels geometrischer Strenge werden Größenverhältnisse postuliert. Die Präzision der Linien ist dabei ein kennzeichnendes Merkmal. Wesentliches Mittel der Gestaltung sind die Kontraste im Bild. Die Figur hebt sich meist deutlich vom Grund ab, in der Tonalität sind die Arbeiten eher einheitlich. Der Kunstverein stellt den in Deutschland wenig bekannten Künstler erstmalig in umfassender Weise vor.



Offenburger Tagblatt, 26. Februar 2016

Gertrud Schley

Urban Saxer holt seine Motive auch aus dem Kleiderschrank. Stillleben als Blick hinter die Kulissen: Basler Künstler beim Kunstverein OffenburgMittelbaden

Der Basler "Bidermacher" Urban 5axer ist in Deutschland wenig bekannt.Beim Kunstverein Offenburg-Mittelbaden darf er jetzt seine künstlerische Entwicklung den vergangenen 25 Jahren zeigen. Die Ausstellung "Palnted mind" wird am Frelag,.19.30 Uhr eröffnet.

Hosen, Hemden, Jacken und Pullover hängen akkurat auf Bügeln ausgerichtet in Reih und Glied. Es ist keine extravagante Designermode, eher unauffällige Alltagskleidung. »Selfie« hat Urban Saxer die großformatige Textilauswahl in der Ausstellung beim Kunstverein Offenburg-Mittelbaden genannt. Wobei der Titel irreruhrend ist. Die Kleider, die er selbst getragen hat und zum Teil auch weiterhin tragen wird, sind nicht fotografiert. sonderngemalt.

"Klassische Malerei, streng und konsequent" - so umreisst Susanne Ramm-Weber, die Vorsitzende des künstlerischen Beirats und Kuratorin der Ausstellung, die Arbeitsweise des Schweizers, der sich "Bildermacher" nennt. Die Ausstellung sollte ihm die Möglichkeit geben, ausgewählte Arbeiten von 1989 bis heute ln einem grösseren Zusammenhang zuzeigen. Das Ergebnis hat den Künstler selbst überrascht und beeindruckt. Vor allem die elfteilige Kerzenständer-Serie "Raum der Könige", die Ölgemälde erlebte auch er zum ersten Mal im Gesamtzusammenhang.

"Was im ersten Moment aussieht wie ein reduziertes Stillleben ist in Wahrheit ein Blick indie Kulissen einer fiktiven Weit. die als Spiegel für die Empfindungen der Betrachter dient", erläutert Saxer auf seiner Hornepage seine Art. sich auszudrücken. Eine Gegenüberstellung von frühen und vor Kurzem entstandenen Werken, zeigt auf, wie sich seine Malerei im Laufe der Zelt verdichtet hat. Seine Darstellungen einer Vase und einer Kaffeekanne, die geradezu mit dem Hintergrund verschmelzen und doch noch sichtbare Konturen haben, zeugen von handwerklichem Können und Geduld. "Man darf nicht zu früh zufrieden sein", deutet Saxer an, dass er beim künstlerischen Prozess mitunter viel Geduld aufbringen muss. Eine weitere Besonderheit: Saxer verwendet bei seinen Bildern kein Schwarz. Auch seine ganz dunklen Töne sind das Ergebnis von Farbmischungen.



Basler Zeitung, 26. 10. 06, bazkulturmagazin B7, Seite 24, www.baz.ch

Karen N. Gerig

Der Bildermacher

Urban Saxer in der Galerie „Die Aussteller“

Vasen sind in Urban Saxers Bildern allgegenwärtig – sie haben die Figur ersetzt. So schafft sich der Künstler „eine Art Heimat auf der Leinwand“. „Ich bin ein figürlicher Analphabet“, beschreibt Urban Saxer sich selbst und damit den Grund, weshalb Mensch und Tier in seinem Werk keinen Platz finden. Figuren habe er nur während seiner Ausbildung zum Zeichenlehrer gezeichnet – und seither nie wieder. Stellvertretend nehmen in seinen Bildern Vasen oder neuerdings Wäscheklammern den figürlichen Part ein. Deren ausmodellierte Körperlichkeit spielt mit den monochromen Flächen, die der Künstler dagegenstellt.

Sehen. Die Abwesenheit der Figur macht Saxer jedoch nicht zum abstrakten Maler. Der in Aarau geborene und seit Jahrzehnten in Basel wohnhafte Maler sieht sich selber „irgendwo zwischen den Stühlen“. Den Sinn einer Verbindung verschiedener stilistischer Elemente liegt für ihn in der Spannung zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit. Der neutrale Hintergrund schafft Freiheiten für den Betrachter.

Die Räume bleiben offen, Grössenverhältnisse ungeklärt. Am deutlichsten kommt dies in Kleinformaten zum Vorschein, die verraten, dass der Maler einst Inspiration aus dem Surrealismus schöpfte. Vor allem René Magritte hatte es ihm in jungen Jahren angetan. „Ich denke, es war die Realitätsflucht, die mich daran reizte und die ich damit verbinde“, meint Saxer im Rückblick. Heute malt er sich seine eigene Welt und kümmert sich wenig um Zuordnungen. Der Ausdruck „Bildermacher“, den Saxer dem „Künstler“ vorzieht, verdeutlicht diese Idee des Entwurfes eines eigenen Kosmos. Saxer schafft sich „mit Pinsel und Paste eine Art Heimat auf der Leinwand“.

Hören. Bei den „Ausstellern“ zeigt Saxer ein Video, das nachvollziehen lässt, wielange der Malprozess dauert, bis das fertige Bild aus dem Atelier herausgetragen werden kann. Einzelne kurze Striche, in Gitterstruktur Schicht für Schicht aufgetragen, ergeben irgendwann die Oberfläche, die der Maler sucht. „Am besten ist es, wenn das Bild mir sagt, was ich machen soll. Es gibt einen Punkt, ab dem mich das Bild führt und nicht mehr umgekehrt. Es kann aber sein, dass ich nicht immer richtig hinhöre“, schmunzelt Saxer. Möglicherweise protestiert das Bild dann eine Weile lauter, bis der Maler den Weg doch noch findet. Bis heute zumindest hat der Bildermacher nur ganz wenige Werke unterwegs verloren.



Aargauer Zeitung, 6. März 2003

Rahel Plüss

Pinselgang durch das Stadtgebiet

Aarau: Im Rathaus sind bis zum 4. April Werke von Urban Saxer zu sehen.

Dies ist seine erste Ausstellung im öffentlichen Raum und ein Zurückkommen in seine Geburtsstadt. Der in Basel lebende und arbeitende Urban Saxer suchte eine neue künstlerische Auseinandersetzung mit Aarau und schuf für die derzeitige Rathausausstellung eine 47-teilige Bilder-Serie. Nach zahlreichen Ausstellungen in Galerien zeigt Urban Saxer mit seiner Ausstellung im Aarauer Rathaus erstmals im öffentlichen Raum. Und das an keinem geringeren Ort als in seiner Geburtsstadt. Grund genug für ihn, zurückzukehren, zurückzublicken, sich zu erinnern und eine neue, künstlerische Auseinandersetzung mit dem einstigen und dem heutigen Aarau zu suchen. Was bei der Rückblende entstand und gegenwärtig im Foyer des Rathauses hängt, ist so ganz anders als seine bisherigen Werke: die 47 Bilder - für jedes seiner Lebensjahre seit seiner Geburt in Aarau eines - sind die Abstraktion eines Spaziergangs oder ein „Pinselgang durch das Stadtgebiet“, wie Urban Saxer seine Arbeit selbst nennt. Er lebt und arbeitet nun schon viele Jahre in Basel. Für seine eigens für die Rathaus-Austellung geschaffene Serie kam er zurück in seine Geburtsstadt.

Fotos zeigen Distanz

Er streifte durch Aarau und notierte mit dem Fotoapparat, was sich in der Alltäglichkeit der Stadt an ihren Wappenfarben Rot, Weiss und Schwarz zeigt. „Die Fotos sind nicht der Draht zu dem, was war, sondern zeigen die zeitliche Distanz dazu“, sagt Saxer. Die Umsetzung erfolgte auf weisses Büttenpapier. Der Künstler setzte rote Aquarellflächen darauf, die „in irgendeiner Form Bezug zur Vorlage nehmen“. Es folgte ein Arbeitsgang mit schwarzer Tusche, der auf beides, Vorlage und Aquarell reagiert. So entstanden 47 abstrakte Bilder einer Leichtigkeit und Spontaneität, die gerade durch ihre Reduziertheit zum Vergleich mit den Fotografien animieren.

Präzision, Konstanz und Sparsamkeit

Ansonsten setzt sich der Künstler seit bald zwei Jahrzehnten mit einem Kernthema der Kunst auseinander: Dem Sehen. Was geschieht, wenn Gegenstand, Materialität und Konkretes aufeinander treffen? Maltechnische Präzision fällt als Erstes auf. Als Zweites die Konstanz und Sparsamkeit der stets wiederkehrenden Elemente - eine Vase, eine Schale, eine Frucht oder eine geometrische Figur. Mit den klassischen Mitteln der Malerei, nur wenigen, immer wiedkehrenden Elementen und Objekten und einem strengen Einsatz von Farbe, erprobt Saxer Spielweisen und Freiheiten der Imagination. „Bei Urban Saxer gerät die Wahrnehmung ins Schweben“, sagte Sybille Birrer anlässlich der Vernissage. „Im Zusammentreffen zwischen den realen Gegenständen und dem ungreifbaren Kontext formt sich im Auge des Beobachters Neues, die Wahrnehmung öffnet sich in die persönliche Weite der Assoziationen. Urban Saxer arbeitet an der Erfahrung des Wahrnehmbaren. Seine Ölbilder sind meditativ in der Langsamkeit und Strenge - in der Spannung zwischen Präzision und Schwebe.“



Badische Zeitung, Mai 1999

Ludwig Ammann

Galerie Regio

[ ] In der Orangerie sind Bilder eines jungen Baslers zu sehen. Ölmalerei von Urban Saxer, der erst zum zweiten Mal ausstellt. Auch einer, der genau arbeitet, ohne sich damit zu brüsten. Er reduziert; auf einen monochromen Grund und ein zwei Figuren, Schüssel oder Vase zum Beispiel, sehr flach dargestellt, und dazu eine geometrische Fläche. Alles scheint abgezirkelt und cool. Aber es bewegt sich ganz leise im Licht. Winzige Abweichungen von der idealen Form beginnen zu atmen, leicht gegeneinander verschobene Gewichte und natürlich das Spiel der Farben in der Farbe, der zahllosen übermalten Schichten, der Löcher der groben Leinwand oder, wo die Farbe dicht wird und versiegelt, ihre eigene Textur. Lebendigkeit in der gebändigten Form. [ ]



Der Bund, 16. 3. 99

Isabelle Jungo

KUNST / Urban Saxer in der Galerie Brügger

isa. Urban Saxer ist in kunstkennerischen Kreisen weitgehend ein Unbekannter, der in seiner ersten Galerienausstellung bei Christine Brügger in aller Bescheidenheit auf sein beeindruckendes Schaffen aufmerksam macht.Der in Basel tätige Künstler präsentiert Werke, die mit knappsten formalen und inhaltlichen Elementen auskommt. Auf einfarbigen Bildgründen, die eine räumliche Unbestimmtheit evozieren, sind in präziser Malweise Vasen, Schalen, Flaschen sowie als vorerst ungegenständlich wahrgenommene Linien oder geometrische Formen ausgeführt. In dieser Schlichtheit ist die Oberfläche mit dem Auge zwar schnell abgetastet, jedoch nicht gleich rational fassbar. Durch die Anwesenheit lesbarer Gegenstände oder klar geordneter Formen im ungreifbaren Kontext entsteht ein Teil vielschichtigen Spannung, die Saxers Werke in sich tragen.Der Künstler betont die Wichtigkeit, in seiner Bildwelt auch die als ungegenständlich wahrgenommenen Formen den assoziierbaren Dingen gleichwertig zu sehen. Seine Haltung wird deutlich, indem er Lesbares und das vermeintlich nicht Lesbare in dieselbe undifferenzierte Bildwirklichkeit verbannt. Es geht ihm vorwiegend um das Spannungsverhältnis der Flächen zueinander, als isolierte Form der Greifbarkeit entrückt und dennoch nur im Verbund mit den sie umgebenden als solche fassbar. Bringt man den Bildern von Urban Saxer etwas Zeit beim Betrachten entgegen, werden sie zu einem beeindruckenden Raum- und Formwahrnehmungserlebnis, sie können aber ebenso ein rein visuelles Vergnügen an der Bildoberfläche bieten, die durch klare Strukturen und maltechnische Präzision das Auge sofort anzieht.



Eigene Texte:

Painted Mind

Einfache gegenständliche und geometrische Objekte verharren regungslos in leerem Umfeld. In ihrer gespannten Erwartung gleichen sie Schauspielern auf einer Bühne kurz bevor der Vorhang sich hebt. Es ist ein mit Energie geladener Moment - alles ist bereit, aber niemand weiss, was geschehen wird.

Die Objekte sind nicht nach Vorlage gemalt, sondern entspringen meiner Vorstellungswelt, die sich im Laufe des Lebens wie ein visueller Fundus aus allen möglichen Eindrücken in meinem Kopf gebildet hat. Sie haben keinen Bezug zu real existierenden Gegenständen und Räumen. Daher erzählen die Bilder zunächst keine Geschichte und vermitteln keine Botschaft. Sie sind Hüllen oder Formen, die auf ihren Inhalt warten. Erst wenn jemand mit seinen eigenen visuellen Erfahrungen die Bilder anschaut, werden sie vollständig und beginnen eigentlich zu existieren. Ich als Maler weiss somit gar nicht, wie die Bilder im Kopf der Betrachter ankommen werden, mit welchen Inhalten diese sie zum Leben erwecken.

Im Atelier kann ich mich auf der Leinwand ausleben, geniesse alle Freiheiten und muss mich einzig meinen eigenen Ansprüchen beugen, der perfekte Traum von Selbstverwirklichung und Individualismus. Ein Betrachter ist aber ebenso ein Individuum wie ich (nur dass er sich vielleicht anders verwirklicht). Je stärker ich also im Atelier meiner Individualität huldige, desto grösser kann die Kluft zur Individualität des Betrachters werden. Um diese Distanz zwischen Individuen dreht sich im Wesentlichen meine Arbeit. Ich suche eine Sprache direkt von Individuum zu Individuum, ohne jene Zwischenstufen von Erklärungen und Konventionen, die uns ermöglichen, gleichzeitig Individuen und soziale Wesen zu sein. Meine Bilder sind zwar durch und durch mein individueller Ausdruck, aber dadurch, dass sie möglichst wenig Erzählung (also auch möglichst wenig Ego) enthalten, können sie zu Projektionsflächen werden, die für jegliche Sicht und Gedanken frei sind und dem Individuum in uns viel Spielraum bieten.



Malerei der stillen Unruhe

Vor meist leerem Hintergrund verharren regungslos Gegenstände, angespannt wie Schauspieler auf der Bühne kurz bevor der Vorhang sich hebt.

Die Betrachtung begegnet den Bildern genau in dem Augenblick, wo alles bereit, aber noch nichts geschehen ist. Es steht frei, sich eine Handlung zu denken, die demnächst ablaufen wird. Es steht aber auch frei, die Bilder so in der Schwebe zu lassen, wie sie sich zeigen und ihre potentielle Energie aufzunehmen.

Was im ersten Moment aussieht wie ein reduziertes Stillleben ist in Wahrheit ein Blick in die Kulissen einer fiktiven Welt, die als Spiegel für die Empfindungen der Betrachter dient. Die Qualität der Bilder besteht im Erreichen jenes Momentes höchster Konzentration, aus dem sich die individuellen Möglichkeiten der Interpretation eröffnen. Die Bilder stellen nich etwas dar, sondern sie wollen einfach erscheinen. Was darauf zu sehen ist, ist weniger wichtig als das, was dahinter oder daneben sein könnte



Die Vase oder die Subversion des Einfachen

Für ein Bild einen so einfachen Gegenstand wie eine Vase zu verwenden, bietet viele Vorteile. In ihrer schlichten, archaischen Form lässt sie fast jede Modulation zu, sei es farblich oder formal. Dazu kommt die Möglichkeit, den Effekt universeller Wiedererkennung zu nutzen und damit hinter das Ding als solches zu schauen.

Wenn ich eine Vase so gross ins Bild setze, dass sie das Format zu sprengen droht, so geht die Wahrnehmung automatisch über den Gegenstand „Vase“ hinaus und beginnt nach neuen Anhaltspunkten zu suchen. Dasselbe kann in der Konfrontation des „Gegenstandes“ mit geometrischen Formen geschehen. Da die Elemente in meinen Bildern weder stark verzerrt, noch expressiv überzeichnet sind, erscheinen sie zunächst als durchaus „normal“. Dann aber beginnt der Widerspruch zwischen der alltäglichen Sehgewohnheit und dem, was auf dem Bild ist, zu wirken.

Die eben noch als simple Vase identifizierte Form steht z.B. vor zwei Flächen, die ihre Präsenz nur aus ihrer Farbe beziehen, während die Vase doch eine gewisse Räumlichkeit beansprucht. Welcher Gewohnheit soll das Auge nun folgen? Soll es in der Vase eine farbig abstrakte Wirkung suchen oder aus den Flächen eine räumliche Analogie zur Vase konstruieren? Es öffnet sich ein Spalt zwischen Gesehenem und Wahrgenommenem. Der Umstand, dass sowohl Vase, wie auch die Flächen sehr sachlich daherkommen, also fast eine malerische Einheit bilden, zieht diesen Spalt, ist er erst einmal auf getreten, noch weiter auseinander. Die so entstehende Lücke zwischen dem, was sich materiell auf dem Bild befindet und dem, was die Sehgewohnheit damit anstellt, ist für mich das Wesentliche an meiner Arbeit; sie ist das, was ein Bild erst zu einem Bild macht, ein Freiraum, der ausschliesslich jenen gehört, die ihn zu nutzen verstehen, den Betrachtern nämlich.



Texte von Anderen:

Dr. Susanne Ramm-Weber

Ausstellungseröffnung Urban Saxer Painted Mind

Kunstverein Offenburg-Mittelbaden, 26. Februar 2016

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Urban,
es freut mich sehr, Ihnen mit dem Basler Künstler Urban Saxer einen äußerst konsequenten Maler vorstellen zu dürfen. Er ist zudem ein stiller Maler, der um sich nicht viel Aufhebens macht und peu à peu ein umfangreiches Werk geschaffen hat. Ich verfolge die lineare Entwicklung seit vielen Jahren. Wir kennen uns seit 1990. Die Veränderung im Werk über die Jahre ist deutlich, aber subtil. Sie ist einem Konzentrationsprozess geschuldet, der sich den Gegenstand oder vielmehr ein Objekt zum Vorwand nimmt. Die Werke in dieser Ausstellung umfassen einen Zeitraum von 1989 bis heute, also mehr als 25 Jahre.

1989 sind die Ränder diffus, der Farbraum ist leicht wolkig, deutlich changierend von einem Farbbereich in den anderen, von dunkel nach hell, von Nuance zu Nuance in kleinen, kurzen, doch locker gesetzten Pinselstrichen und einem überaus geduldigen Prozess. Ein Bäumchen und eine Flasche wie zwei dünne Striche, Gegenstände, die ihrer Materialität entbehren. Im Kontrast dazu steht ein Dreieck, das objekthaft und prominent, leicht angeschnitten das Tableau besetzt. Diese drei Dinge stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Hier zeigt sich schon in Andeutung, was 1994 eine erste Konzentration erfährt.

Zunehmend sind die aufgelösten, diffusen Ränder der Präzision gewichen. Geblieben ist die Gestaltung eines Farbraumes. In den Balance-Bildern von 1994 sind die Übergänge innerhalb eines Farbbereiches, Gelb oder Rot, fast unmerklich geworden, wo das Gelb heller ist, und wo es dunkler, schmutziger wird. Wenn Ihnen dabei anlehnungsweise der Farbmagier Mark Rothko in den Sinn kommt, ist das nicht ganz fehl. Die Objekte sind zurückgenommen, klein, geometrische Grundformen, ein Quadrat, zwei Kreise, ein Dreieck und eine feine präzise Linie, die zwei von ihnen miteinander verbindet. Die Spitze des Dreiecks weist auf den rechten Bildrand, der farblich abgesetzt ist und so etwas wie eine Halt gebende Funktion übernimmt. Es ist, als würden die Gegenstände auf dem Grund schweben, ein leichtes Spiel treiben, die Konzentration manifestiert sich im Dreieck.

Ab 1998 finden sich wie in den beiden an den Stirnseiten gehängten Bildern „Affirmation“ und „Negation“ assoziierbare Gegenstände, eine Zwiebel und ein Apfel in einem schwarzen Kreuz, durchgestrichen, negiert, aber doch zu sehen. Geht es wirklich darum, einen Apfel zu malen? Im Zentrum des Kreuzes ist er positioniert, ihm fehlen drei Ecken. Das rückt ihn nach hinten, obwohl das Kreuz bildbeherrschend obenauf liegt, ein unauflöslicher Widerspruch entsteht im Zentrum des Bildes, dessen universelle Form durch den singulären Apfel eine Konkretisierung erfährt. Es ist auffällig, dass in den Arbeiten meist nur ein Gegenstand erscheint. Dieser steht in einem bestimmten Verhältnis zum Bildgrund und zu einer geometrischen Markierung, die dem Bild gewissermaßen einen Stempel auferlegt. Mit unterschiedlichen Mitteln wird eine Räumlichkeit erzeugt, meist ist es ein dichtes davor und dahinter. Durch höchst differenzierte Farbverläufe entsteht eine Farbräumlichkeit, gewinnen die Gegenstände an Plastizität.

Es ist eine bestimmte Auswahl an Gegenständen, die das Darstellungsinteresse des Malers hervorrufen. Die allgemeingültige Form ist bestimmend, das Runde von Apfel, Birne und Kugel, das Bauchige oder Schmale von Schale, Tasse und Vase, oder das lanzettförmige Aufragende von einer Feder. Es geht um die Erscheinung des Gegenstandes, nicht um seine Benutzbarkeit, nicht um die Verwendbarkeit, sondern um das Aussehen an sich. Das hat ein bisschen was von René Magritte, dem belgischen Surrealisten, der mit seinen Bildern die Wirklichkeit untersuchte, um zu verdeutlichen, dass der gemalte Apfel, ein bevorzugtes Sujet bei Magritte, nicht essbar ist, weil er eben gemalt ist. Saxer verdeutlicht die Präsenz des Gegenstandes in irrealer Weise, in dem er sie in einer undefinierten Umgebung platziert und mittels geometrischer Strenge Größenverhältnisse postuliert. Die Präzision der Linien ist dabei ein kennzeichnendes Merkmal.

Ein wesentliches Mittel der Gestaltung sind auch die Kontraste im Bild. Die Figur hebt sich meist deutlich vom Grund ab, in der Tonalität sind die Arbeiten eher einheitlich. Um 2001 waren die Kontraste in den Bildern groß, ähnlich wie auch in dem Werk „Darwins Frühstück“ von 2009 im Eingangsbereich, in dem der Apfel, der als Frucht des Paradieses symbolisch aufgeladen ist, die weiße und die schwarze Seite überlagert. Der Kontrast spielt eine Rolle hinsichtlich der Wirkung und Erscheinung des gewählten Gegenstandes, ob er präsent hervortritt oder eine beigeordnete Rolle zu spielen scheint, oder fast verschwindet.

An diesem Punkt müssen wir auch auf die Technik zu sprechen kommen, denn wie gelingt es, dass die einzelnen Farbstriche kaum sichtbar sind, und die Flächen eine große Homogenität haben bei leichtem Changieren. Der Farbauftrag ist verhältnismäßig dünn, und es sind viele kurze Pinselstriche, die in der mehrfachen Überlagerung ein dichtes Gewebe erzeugen. In anderen Jahren sind die Kontraste gering, Gegenstand und Grund weisen eine große Nähe zueinander auf, heben sich kaum voneinander ab. Es entstehen Spielarten. Die Bilder entstehen in einer Reihenfolge und jedes weitere wäre ohne das vorangegangene nicht denkbar. Jedes Bild liefert einen Erfahrungsschatz. Man muss die Entwicklung mitdenken, das, was vorher war. In dieser Weise entstehen Serien. Es kommt auch vor, dass Motive nach einer Zeit des Ruhens in veränderter Form wieder auftauchen. Im Grunde sagen die Bilder nur eines: ich existiere, um zu malen. Das ist bedingungslos, eine große Treue und Strenge zu sich selbst. In der heutigen Zeit mit ihrem Überangebot an diversesten Bildern ist das keineswegs selbstverständlich.
Ab 2002 beginnt Saxer mit dem äußeren Format zu experimentieren, dreieckig, um die Ecke gemalt oder schräg angeschnitten. Auch das hat eine Auswirkung auf den dargestellten Gegenstand, der meist teilweise zu sehen ist. Die Unvollständigkeit ist hier essentiell. Ab 2006 entstehen Bilder, in denen sich der Gegenstand in den Vordergrund drängt, intensive Farben kommen im Jahr 2008 zum Einsatz, zwei Jahre später ist es ein helles Beige, das auffällt und für harte Kontraste sorgt, während es im darauffolgenden Jahr weich und dunkel wird.

2012 entstehen Arbeiten, in denen verschiedene Objekte miteinander gemischt werden, auch kommt als neues Sujet die Kerze ins Spiel. Ihr ist in dieser Ausstellung ein ganzer Raum gewidmet und das Metaphysische nimmt breiten Platz ein. Format und Gegenstand entsprechen einander, schmal und hoch. Man muss schon fragen, ob es überhaupt Kerzen sind, denn einen Docht haben sie nicht, folglich auch keine Flamme. Das Wachs, das reine Brennmaterial und die Form und Platzierung auf dem Ständer lassen hingegen zweifelsfrei „Kerze“ assoziieren, in unserer Weltvorstellung denken wir den Docht mit, gerade auch wenn man die brennenden Kerzen von Gerhard Richter vor Augen hat, und es gibt einen Moment der Irritation, dass er fehlt, wem‘s denn überhaupt auffällt. Genau dieses Irritations-Moment ist der Auslöser für die Fragestellung nach dem Seienden, der Existenz. Die Malerei gewinnt einen philosophischen Charakter.

Während die Gegenstände in der genannten Weise stets eine Allgemeingültigkeit vorweisen, der Apfel an sich, die Vase an sich, die Kerze an sich, und damit über sich selbst hinaus weisen, geht es in einer sehr spezifischen Serie um genau den dargestellten Gegenstand. Es ist die Serie „Selfies“. Ich bin, was ich an meinem Leib trage, die Hose, die Jacke, das Hemd. Hier ist die Gestaltungsweise eine andere, fotorealistisch ist der Gegenstand abgebildet und die Darstellungsweise zeigt, dass es nicht um irgendein Hemd geht, sondern um genau das real existierende Hemd, das dem Künstler gehört. Sie erhalten sozusagen über den Einblick in den Kleiderschrank einen Eindruck, wie sich der Künstler selbst versteht. Es ist eine schlichte Bestimmtheit in den Arbeiten, ein Kleidungsstück vor neutralem Hintergrund, beides farblich aufeinander abgestimmt. Kompromisse sind nicht nötig, es gibt auch keine Spielerei wie in den Arbeiten, wo die Gegenstände eine bestimmte Position einnehmen, sondern ein einfaches „Da bin ich“. So kann man es auf einen Nenner bringen: in der Malerei von Urban Saxer geht es metaphorisch um existentielle Fragen, die Existenz des Gegenstandes und die Existenz des Malers, um das Dasein, „painted mind“.



Sibylle Birrer

Ausstellung von Urban Saxer im Rathaus Aarau

Maltechnische Präzision fällt als erstes auf. Als zweites die Konstanz und Sparsamkeit der stets wiederkehrenden Elemente - eine Vase, ein Schale, eine Frucht oder eine geometrische Figur.

Seit bald zwei Jahrzehnten setzt sich der 1956 in Aarau geborene, heute in Basel lebende Künstler Urban Saxer malend mit einem Kernthema der Kunst auseinander: dem Sehen. Was geschieht, wenn Gegenstand, Materialität und Konkretes aufeinander treffen?

Bei Urban Saxer gerät die Wahrnehmung ins Schweben. Im Zusammentreffen zwischen den realen Gegenstände und dem ungreifbaren Kontext – deren Hinter- oder Vordergrund? – formt sich im Auge des Beobachters Neues, die Wahrnehmung öffnet sich in die persönliche Weite der Assoziationen. Mit dem klassischen Mittel der Malerei, nur wenigen, immer wiederkehrenden Elementen und Objekten und einem strengen Einsatz von Farbe erprobt Urban Saxer seit Jahren Spielweisen und Freiheiten der Imagination.

So ist es als drittes, beim genauen Hinsehen und Wegdenken, ein permanentes Paradox, was bei Urban Saxers Schaffen auffällt: Asketisch ist die Formsprache – und reich zugleich, weil sie die Wahrnehmung zur Assoziation hin öffnet. Streng ist Urban Saxers Malen in seiner Redundanz und dargestellten Einfachheit – verspielt in der unermüdlich neugierigen Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung. Meditativ sind die Ölbilder in der innewohnenden Langsamkeit und Strenge - erheiternd in der Spannung zwischen Präzision und Schwebe. Urban Saxer arbeitet an der Erfahrung des Wahrnehmbaren und arbeitet also am darstellerischen Paradox, hartnäckig spielerisch. Oder verspielt hartnäckig.

Umso mehr überrascht der Künstler nun mit einer eigens für die Aarauer Rathaus-Ausstellung geschaffenen Serie: „Pinselgang durch das Stadtgebiet“ heissen die 47 Blätter, Aquarellfarbe und Tusche, durchgängig in den Aarauer Farben Rot, Schwarz und Weiss. Auf Streifzügen durch Aarau hat Urban Saxer Wahrnehmungsmomente fotografisch festgehalten und anschliessend auf Papier umgesetzt. Ein künstlerisches Aarau ist so entstanden. Keins zum offiziellen Jubiläum, sondern eines des individuellen, persönlichen Blicks. So lesen sich die Bilder als Dokumentation einer zeitweiligen Rückkehr in 47 Momenten – ein Darstellungsmoment für jedes Lebensjahr, in dem Urban Saxer mit Aarau als Ort der Herkunft und des Aufwachsens verwurzelt ist.



Gespräch von Martin Meyer mit Urban Saxer in dessen Atelier.

21. September 2006, einen Monat vor der Ausstellung: "Malerei der stillen Unruhe".

Viele Künstler äussern sich nicht schriftlich über ihr Werk. Nicht so Urban Saxer: es gibt erfreulicherweise einige Texte von Ihnen über Ihre Arbeit. Ärgerlich für mich ist allerdings, dass ich nicht alles verstehe...

Ich verstehe auch nicht alles ...

Also zum Beispiel im Text "Die Zeit der weiten Flächen" steht: "Die greifbare Anwesenheit von Gegenständen [in den Bildern] wird durch die Ungreifbarkeit der sie umgebenden Flächen in eine Schwebe gebracht, die keine Sichtweise festlegt, sondern Zeit für deren Gewinnung freisetzen will". Der zweite Teil ist mir unklar.

Das soll heissen, dass die Gegenstände nicht in ihrem erwarteten Umfeld auftauchen. Eine Frucht liegt nicht in einer Schale, sie liegt in einem undefinierten Raum. Sie könnte 2 Meter Höhe haben, oder auch nur 2 cm. Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Gegenstand und Umgebung, wie beispielsweise bei einem holländischen Stillleben. Bei einer naturalistischen Darstellung liesse sich der umgebende Raum (Tisch, Wände etc.) messbar erfassen. Dies will ich vermeiden, indem ich keine messbaren Grössen liefere. Dadurch ist der Betrachter gezwungen, seine eigene Vorstellung und Definition einzubringen.

Schön, und wenn Sie das von Anfang an gesagt hätten, hätte ich jetzt nichts Neues mitbekommen... Etwas anderes ist mit aber von Anfang an aufgefallen: Offensichtlich sind die von Ihnen gemalten Gegenstände - Früchte, Vasen, Krüge etc - sehr plastisch, sehr körperlich dargestellt. Die "Umgebung", der sie umgebende Raum, ist hingegen wie leer, abstrakt, ungreifbar - und das gibt eine merkwürdige Spannung. Ist das gewollt?

Ich kann nicht sagen, ob das gewollt ist, aber es hat sich so entwickelt. Es steckt kein künstlerisches Konzept dahinter. Ich brauche einfach keinen naturalistischen Hintergrund mehr, um mich im Bild wohl zu fühlen. Der neutrale Hintergrund schafft jene Offenheit, die der Betrachtung jede Freiheit lässt. Wenn ich im Hintergrund ein Tapetenmuster mache, lege ich eine bestimmte Räumlichkeit fest. Wenn ich das nicht mache, besteht die Möglichkeit, dass der Raum offen bleibt. Natürlich setze ich dies jetzt sehr bewusst ein, aber ich möchte nicht behaupten, es erfunden zu haben.

Und vor diesem offenen Raum befinden sich die Körper ...

...und wenn man es umkehrt, haben Sie das Gegenteil. Es spielt keine Rolle, ob der Raum vorne oder dahinter ist. Es hat durchaus Beispiele, wo Gegenstände von abstrahierten Flächen überschnitten oder angeschnitten sind. Was passiert dort? Genau dort wird es spannend: Was ist hinten, was ist vorne? Da ich den Raum nicht naturalistisch, sondern offen definiere, kann ich ihn auch vorne hinstellen, (zum Beispiel bei dieser grossen blauen Fläche vor der Birne) und dies erlaubt mir ein zusätzliches Spiel mit Hinten und Vorne. Interpretiere ich das Blau als Himmel, kann ich sozusagen durch die Birne hindurchschauen. Dann ist das Blau im Vordergrund tiefer als der sogenannte Hintergrund, der hinter der Birne ist. Damit schaffe ich Durchsichten, die nicht der visuellen Erwartung entsprechen, sondern andere Blickwinkel eröffnen - wenn alles gut geht. Aber es kommt natürlich auch vor, dass es nicht gut geht ....

Gewisse Objekte - Krüge, Schalen, Äpfel, neu Wäscheklammern etc. - kommen immer wieder auf Ihren Bildern vor. Ich frage mich, ob dies eine Art Metaphern sind?

Die Metapher z.B. des Gefässes als etwas Umschliessendes oder Bewahrendes, ist für mich viel weniger wichtig als man vielleicht meint. Der metaphorische Bezug ist nett ("nice to have it"), aber das Zentrale an diesen Objekten ist für mich die Modulierbarkeit. Es sind einfache, klare Formen. In ihren Ausdrucksmöglichkeiten sind sie aber äusserst vielfältig. Ich kann eine Vase sehr breit oder sehr schlank, sehr gross oder sehr klein malen, sie bleibt immer und sofort als Vase erkennbar. Ich kann einen Ausdruck schaffen, ohne für die Erkennbarkeit der Vase etwas tun zu müssen. Diese Formbarkeit steht vor der Metapher. Man darf einen Apfel durchaus als Apfel wahrnehmen, entscheidend ist aber die Erscheinung als Objekt auf einer Bühne in seiner Körperlichkeit, im Licht- und Schattenspiel, im Volumen. Die Oberflächenstruktur ist bereits weniger wichtig. Natürlich gibt es recht viele Objekte, die in die Höhe streben, dort ist es naheliegend, diese auch als figürliche Metapher zu sehen.

Aber Menschen malen Sie nicht?

Ich könnte jetzt ganz frech behaupten: doch. Ich male aber nicht figürlich. Wenn ich Personen direkt zu malen versuchte, käme ich aufs Glatteis. Ich bin ein figürlicher Analphabet (und habe es daher schon sehr lange nicht mehr gemacht, vielleicht müsste ich es wieder einmal probieren). Aber mein eigentliches Interesse ist es, über die Bande zu spielen (kommt dieser Ausdruck vom Billard?). Wenn man meine Objekte metaphorisch verstehen will, dann geht es in diese Richtung. Über die Bande spielen heisst für mich, eine Vase so zu strecken, bis sie auch einen figürlichen Ausdruck erhält. Bei meinem neusten Objekt, der Wäscheklammer, lege ich mich vielleicht am Meisten fest. Aber auch eine Birne kann ich ebenso als Objekt sehen, wie als figürlichen Zustand. Ich schiesse nicht direkt aufs Ziel, ich gehe den indirekten Weg. Deshalb ist auch die Frage, ob meine Malerei nun gegenständlich oder pseudofigürlich, symbolistisch oder realistisch sei, nicht zu beantworten. Sie ist überall zwischen Stuhl und Bank.

Die Ausstellung wird heissen: Malerei der stillen Unruhe.

Der Titel geht darauf zurück, dass bei einer früheren Ausstellung eine Betrachterin meinte, die Arbeiten würden sehr ruhig wirken und mich fragte, ob ich selbst auch so ruhig sei? Ich musste mit Nein antworten, denn ich bin eigentlich das Gegenteil dieser Bilder. Diese Frage brachte mich darauf, dass genau in diesem Widerspruch etwas Treffendes liegt und kam dann auf den Begriff der "Stillen Unruhe". Die Bilder kommen eher still und unauffällig daher, und doch stimmt beim zweiten Hinsehen irgend etwas nicht ganz (das hoffe ich wenigstens). Die Senkrechten sind meist nicht ganz senkrecht, die Objekte sind vielleicht nicht genau dort, wo man sie erwartet. So ist dieser Begriff entstanden. Ich wünsche mir, dass man nicht bereits nach dem ersten Hinschauen mit dem Bild fertig ist. Man sollte das Bild auch ein zweites Mal anschauen können und noch Fragen an das Bild haben. Oder umgekehrt: Das Bild sollte auch längerfristig Fragen an den Betrachter stellen und Interesse wecken.

Eine gewisse Irritation?

Ja, eine Irritation, genügend fein, dass sie nicht belästigt, aber genügend stark, dass sie nachwirkt, das wäre die Idealvorstellung. In diese Lücke hinein stösst der Begriff der stillen Unruhe.

Mich irritiert bisweilen auch, dass die Objekte in den Bildern je nach meiner Stimmung verschieden erscheinen können; mal sinnlich nahe, ja fast bedrängend, dann wieder weit entrückt und unerreichbar. Hängt das mit den undefinierten Grössenverhältnissen zusammen, die Sie zu Beginn erwähnt haben?

Diese Frage fasse ich als Kompliment auf, danke. Ich kann mir vorstellen, dass der Verzicht auf die fassbare Grösse etwas zu einer emotionalen Ambivalenz beitragen könnte.

Sie zeigen auf einem Video den Entstehungsprozess eines Bildes.

Das Video soll die (öfters gestellte) Frage nach der Technik oder Methode meiner Malerei anschaulich beantworten. Ich arbeite recht lang an meinen Bildern. Zu Beginn sieht man den Prozess der Bildkomposition in Form der Vorzeichnung. Das Schwierige dabei ist das Umsetzen der ursprünglichen Vorstellung in eine erste materielle Existenz, die Zeichnung. Die Vorstellung kennt keine materiellen Grenzen, Leinwand, Hand und Kohle sind aber materiell. Diese Umsetzung geht manchmal ganz schnell und leicht, dann wiederum kann es ein zäher Vorgang sein, bis hin zur Totgeburt. Nach der Zeichnung kommt aber noch die Farbe. In der Vorstellung ist die Farbe wunderbar schwebend und klingend, in der Tube ist es eine matschige Masse. Dazu kann kommen, dass ich mich bei der Farbgebung verspekuliere, viel ändern muss und nicht mehr weiss, wo ich hinkommen soll. Wenn ich also eine Bildidee habe, ist die Chance, dass das Resultat dieser Idee entspricht, sehr klein. Der ganze Arbeitsprozess besteht darin, die Materie (Leinwand, Farbe), so nahe wie möglich wieder an die Idee heranzusteuern, beziehungsweise zu beobachten, wie und wann sich etwas von der Idee im "Material" Bild materialisiert. Nach bald 30jähriger Praxis sollte man zwar meinen, die Materie beherrschen zu können, dem ist aber nicht so. Jedes Bild ist wieder ein Kampf. Gewisse Probleme lassen sich durch Routine lösen, anderes lässt sich jedoch nicht üben. Vielleicht habe ich heute mehr technische Möglichkeiten und mehr Erfahrung als früher, dafür weniger Naivität und Unbekümmertheit. Etwas von diesen Vorgängen möchte ich mit dem Video aufzeigen.

Mir fielen die flockigen Striche auf, mit denen Sie beginnen und die aller Übermalung zum Trotz bis zuletzt sicht- oder wenigstens spürbar bleiben.

Schön, wenn es sich so verhält. Diese Technik hat mehrere Seiten. Sie erlaubt mir, mich nach und nach an das Erscheinungsbild heranzutasten, es als Ganzes aus der Leinwand "herauszukneten". Mit unterschiedlicher Verdünnung der Farbe komme ich zudem zu verschiedenen Materialwirkungen, häufig sind die Gegenstände massiver gehalten, als die Hintergründe. Allerdings zwingt mich dieses Vorgehen auch, mich sehr früh festzulegen. Gewisse Änderungen sind nach dem Beginn des Malens nicht mehr möglich, sie würden stets störend auffallen.

Bisher haben wir von der Farbe nur als Material gesprochen, nicht aber von der Farbe in den Bildern.

Die ist meist etwas gedämpft. Reine Farben verwende ich eher selten. Zum Einen bin ich kein besonders guter Kolorist, zum Anderen glaube ich, mit gedämpften Tönen mehr Tiefe erreichen zu können, als mit greller Farbigkeit. Eine Besonderheit stellt vielleicht dar, dass ich kein Schwarz verwende; sämtliche dunklen Töne, so schwarz sie auch erscheinen mögen, sind aus Farbmischungen entstanden. Nach meiner Erfahrung hat sich das für meine Bildwelt als günstiger erwiesen.

Sie reden von der Erfahrung. Hier kommt vielleicht auch der Begriff Tradition ins Spiel. Wie profitieren Sie davon, dass andere Künstler vor Ihnen gemalt haben?

Wenn Andere vor mir nicht auch schon gemalt hätten, würde ich nicht malen. Mein Rückgriff auf die Kunstgeschichte bleibt aber weitgehend beschränkt auf das 20. Jahrhundert. (Ich kann gewisse Vorstellungen auch aus früheren Zeiten holen, ich betone: Vorstellungen, denn ich habe nicht die technischen Fähigkeiten, mich auf altmeisterlich zu trimmen). Ich baue auf der Basis des 20. Jahrhunderts auf. Einige wenige Figuren haben mich ins Malen initiiert: Magritte, Morandi, Giacometti, in chronologischer Reihenfolge, und bei den Aquarellen Cézanne. Bei Magritte habe ich die Bildwelt entdeckt, habe erstmals erlebt: Aha, so kann man die Welt auch anschauen. Das war eine Initialzündung zu einem Zeitpunkt, als ich von der Malerei noch gar nichts wusste. Später lernte ich bei Morandi viel über die Körperlichkeit des Gegenstandes während ich bei Giacometti die schier unglaubliche Präzision der Verlorenheit bewundere.

So kann man die Welt auch sehen, sagen Sie. Und Sie haben geschrieben: Wenn hinter dem, was auf den ersten Blick zu sehen ist, sich eine Welt öffnet, die sich einfacher Erklärung entzieht ... kann bisweilen ein Zustand eintreten, der bemaltem Stoff einen Hauch von Magie zuträgt. Sie arbeiten an einem Bild von der Welt?

Ich arbeite nicht an einem "Bild von der Welt", sondern versuche nur, eine Bildwelt zu schaffen, die ich verstehe. Da mir das Gefühl, die Welt zu verstehen, ziemlich abgeht, bastle ich wie ein Modelleisenbahner an einer Welt, die ich persönlich begreifen, in der ich mich bewegen kann. Dabei habe ich keineswegs den Anspruch, dass andere Leute diese Welt auch so verstehen, wie ich. Es gibt weder Heils-, noch Unheilsbotschaften, noch gesellschaftskritische Aussagen in meinen Bildern. Wer mag, kann seine eigene Welt in die Meinige hineinprojizieren oder es bleiben lassen.

Wo bleibt denn da die Magie?

Die liegt in der Tatsache, dass es möglich ist, mit Pinsel und etwas Paste auf einer Leinwand für mich eine Art Heimat herzustellen. Aber dies ist nur für mich von Bedeutung, ich erwarte nicht, dass sich diese Magie auf die Betrachter überträgt.

Der Bildbetrachter kommt in Ihren Ueberlegungen aber doch immer wieder vor?

Genau darum.

Wie bitte?

Ich will keine bestimmte Aussage an den Betrachter herantragen. Darum ist mir sehr wichtig, dass die Betrachter frei sind, meine Arbeiten so anzuschauen, wie sie das wollen. Negative Reaktionen sind mir genauso lieb, wie positive. Ich will in meinen Bildern eine bestimmte Wirkung haben, die für mich gilt. Für den Betrachter kann etwas ganz anderes gelten.

Aber Sie malen ihre Bilder ja nicht nur für sich selbst?

Nein, aber auch nicht für einen bestimmten Betrachter, dem ich eine Botschaft übermitteln muss. Ich vertraue auf die Wahrnehmungsfähigkeit der Betrachter. Ich male Bilder und keine Ansichten, die ich in die Köpfe anderer stopfen will. Mich interessiert nur, Bilder zu machen, die nicht nach ein paar Minuten schon langweilen.

Dann gibt's da auch noch die Aquarelle...

Das ist eine ganz andere Geschichte: Initiation war die Begegnung mit den Aquarellen Cézannes anfangs der Achtzigerjahre, die mir wie ein Paukenschlag die Möglichkeiten des Aquarells eröffnete. Seither habe ich zu meinem Vergnügen immer wieder Landschaftsaquarelle gemacht. Dann kam die grosse Ausstellung im Rathaus Aarau, in der ich neben den Ölbildern etwas Spezielles zeigen wollte. Bloss "wässrige" Stadtansichten sollten es aber nicht sein, also versuchte ich Fotos in den Stadtfarben Rot ,Weiss und Schwarz umzusetzen. Daraus entstand das Aarau - Projekt, 47 Blätter in roter Aquarellfarbe und schwarzer Tusche, ziemlich gestisch und reduziert gehalten. Damit hatte sich mir ein neues Feld aufgetan. Für eine Ausstellung in Brunnen entstand später eine ähnliche Serie nur in Tusche und inzwischen noch eine farbthematische Arbeit zu den Jahreszeiten. Für diese Ausstellung nun habe ich eine Reihe von 36 Blättern mit dem Titel "Parole" bereit. Im Gegensatz zu den Ölbildern entstehen diese Aquarelle impulsiv, aus einer Stimmung heraus. Da gibt es kein Planen und langes Herantasten, entweder es sitzt, oder sonst fort damit. Auf den ersten Blick lassen sich die Aquarelle und die Ölbilder kaum zusammenbringen. Aber etwas von der klaren Aufteilung der Ölbilder findet sich auch in den hingehauenen Farbfetzen der Aquarelle wieder, nur dass diese überhaupt nicht mehr mit Inhalt beladen sind.

Wo würden Sie denn Ihre Foto- und Filmarbeiten, die Sie auch noch machen, einordnen?

Malerei erfasst längst nicht alle visuellen Problemstellungen, die mich ansprechen. Wenn ich, wie oben erwähnt, den Entstehungsprozess eines Bildes filmisch ablaufen lasse und das Bild selbst daneben hänge, geht das über die blosse Dokumentation hinaus. Es dauert mehr als vier Minuten, bis das endgültige Bild sich zeigt, zuvor tauchen all die "Bilder" auf, die unter der Oberfläche stecken. Damit greife ich ein in den gewohnten Ablauf der Wahrnehmung des Bildes und lenke ihn in eine andere Bahn. An die Stelle des Erfassens auf einen Blick tritt das Folgen einer bildlichen Spur bis zu ihrem Ende. Habe ich diesen Ablauf einmal so gesehen, kann ich ihn vor dem innern Auge natürlich auch umkehren und das Bild rückwärts zum Anfang verfolgen. Das wäre dann, etwas geschwollen gesagt, die Dekonstruktion der Bildwahrnehmung. Was mich dabei interessiert, ist das Hinterfragen meines eigenen Tuns in der Malerei: Was ist überhaupt an einem Bild dran? Eine etwas andere Sache ist die Fotoarbeit über die Cabina A, ein altes Stellwerk im Bahnhof Mailand. Diese ist aus einem Reiseschnappschuss und der Neugier über die Möglichkeiten der digitalen Fotobearbeitung im Computer entstanden. Zuerst veränderte ich die Farbe des Gebäudes, dann schickte ich das Gebäude selbst auf Wanderung in andere Umgebungen. Letztlich ging es aber auch dabei wieder um die Hinterfragung von Wahrnehmung durch Veränderung. Da der Ausgangspunkt ein reales Objekt war, erschien mir eben die Fotografie, resp. deren Umsetzung in eine Szenenfolge das richtige Mittel. Meine Malerei eignet sich dafür nicht. Derzeit arbeite ich einer Animation, die sowohl Fotos, wie auch Elemente aus meiner Malerei enthalten soll. Wie genau das aussehen wird, kann ich jedoch noch nicht sagen.

Martin Meyer, Sept. 06.